ThRe Tipp:

Über Nationalismus

George Orwell, dtv Verlag München, 2020
ISBN: 978-3-423-14737-8

Beim Biathlon, ein durchaus anspruchsvoller Wintersport, beschreibt das Phänomen „Mitläufer“ mediokre Sportlerinnen, die an der Leistung anderer Sportler in der Loipe partizipieren und sich so gute Ergebnisse verschaffen.

Mitläuferinnen beschränken sich nicht auf den Sport. Es gibt sie in der Berufswelt, in Bildungseinrichtungen, der Politik und unter Staatsbürgerinnen.

Im Sport werden sie als Überraschung gefeiert, in der Arbeitswelt sind sie schlimmstenfalls lästig, in der Schule schaden sie sich selbst und Politiker sind abwählbar.

Bei demokratischen Entscheidungsprozessen und Handlungen, einem durchaus anspruchsvollen Feld, werden Mitläufer zur Gefahr. Nicht nur für sich selbst, sondern für sämtliche demokratische Strukturen.

Wie geht Demokratie?
Republiken bzw. aufgeklärte Demokratien zeichnen sich vorallem durch ein Merkmal aus:
Die Abwesenheit staatlicher Ordnungs- / Kontrollorgane bei persönlichen Entscheidungsprozessen.

Daraus ergeben sich Rechte wie die Unverletzlichkeit des eigenen Wohnraums, Gedankenfreiheit, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung über den eigenen Körper, Pressefreiheit, das Briefgeheimnis, ... und ganz wesentlich das allgemeine und geheime Wahlrecht. Viele dieser Rechte sind sehr konkret ausdefiniert, wie zum Beispiel das Recht von Journalisten anonyme Quellen nicht verraten zu müssen (siehe aktuell die Kontroverse zu Seymour Hersh), manche bleiben vage oder werden anderen Interessen untergeordnet, zum Beispiel das Recht, nach richterlichem Beschluss oder bei Gefahr im Verzug, auf Unverletzlichkeit des Wohnraums zu umgehen.

Was will ein Staat?
Staaten, egal wie verfasst, und ihre Organe sind ihrem Wesen nach immer im Widerspruch zu obig genannten Merkmal. Begründet mit organisatorische Aufgaben wie Verteilungsgerechtigkeit, Gefahrenabwehr, Bildungspolitik, Umweltschutz, Gesundheitsangelegenheiten usw. Um diesem Bestreben etwas entgegenzusetzen wurden Gewaltenteilung und Selbstverwaltungsorgane etabliert. Auch diese agieren in ihrem eigenen Interesse und sorgen so im Idealfall für Ausgleich und Wahrung schwer erkämpfter Bürgerrechte. Trotzdem kommt es zu exzessiven Übergriffen und Aushöhlung des Rechts auf Privatsphäre, also demokratisch legitimierter Selbstfindung. Immer begründet mit Ausnahmesituationen, die dauerhaft bleiben. So sanktionierte die Justiz die Rasterfahndung als permanenten Ausnahmezustand zum Schutz des Staates. Das war Ende der 1970er Jahre. Seitdem ist viel passiert und es gibt social Profiling aka Smart Policing, Fingerabdrücke im Reisepass, Preisgabe sämtlicher socialMedia Aktivitäten bei Einreisen, Finanzdatenaustausch (SWIFT), Bargeldobergrenzen, Ausweispflicht bei Geldgeschäften, Bildungsevidenzbögen, grüne Pässe, Videoüberwachung im grossen Stil, Bundestrojaner, Vorratsdatenspeicherung, digitale Ausweise, eRezepte, Smartmeter … und natürlich den Missbrauch der so erworbenen Macht und Daten.

Mitläufer, egal ob durch Unkenntnis, Furcht, Existenzangst oder Erpressung motiviert, befördern die Unterwanderung der Freiheitsrechte durch den Staat. Instutitionen und Strukturen sind nur so stark bzw. schwach, wie die handelnden Akteurinnen, der sogenannte Souverän. In einer Demokratie sind das zum Einen alle Wahlberechtigten und zum Anderen jede einzelne Bewohnerin eines Staatsgebietes. Wählen ist ein Privileg, unabhängige Wahlen eine Seltenheit wie wir in Österreich leidvoll erfahren durften. Das letzte Beispiel ist die wiederholte Wahlkampfkostenüberschreitung bei Wahlen zum österreichischen Nationalrat und auch bei Landtagswahlen durch die „Volkspartei“. Es wurde also mit (Steuer)Geld und der damit finanzierten Werbung Wählerinnenstimmen „gekauft“. Es wurden Wählerinnen digital manipuliert (Stichwort: Cambridge Analytica). Es wurden mittels getürkten Meinungsumfragen und Medienpartnerschaften Angstszenarien geschaffen. All das um das Wahlverhalten der Mitläufer im gewünschten Sinn zu manipulieren. Werbung und Marketing funktioniert und je mehr Daten von jeder Einzelnen verfügbar sind, umso zielgenauer können und werden Marketinginstrumente zur Manipulation eingesetzt.

Woher kommen diese Daten?
Viele Daten werden „freiwillig“ bekanntgegeben. In den socialMedia Kanälen, beim onLineShopping, mit dem Smartphone, der berührungslosen Zahlfunktion, durch Suchmaschinenabfragen, Sprachassistenten, Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, … Ganz so freiwillig ist das natürlich nicht, denn auch private Unternehmen sind höchst interessiert an Bewegungsprotokollen, Geldflüssen und sozialen Umfeld um ihre Produkte zu verkaufen. All diese Daten sind für sich ein wertvolles Produkt und ermöglichen es Menschen in die gewünschte Richtung zu schubsen und neue und weiterreichende Überwachungstechnologien zu implementieren. Die Unverletzlichkeit des eigenen Wohnraums wird, auf „freiwilliger“ Basis - zum Teil sogar staatlich gefördert und gefordert, für profitorientierte Unternehmen aufgegeben. Ein Einfallstor für staatliches Begehren. Möglich nur durch den Mitläufer.

Der Staat nutzt diese und auf staatlichem Wege gesammetlten Daten, um die eigene Bevölkerung zu überwachen und zu kontrollieren. Nur zu unserem Besten, versteht sich. Von der Norm abweichendes Verhalten wird sanktioniert. Durch Mehrkosten, Selektionsverfahren im Bildungsbereich, berufliche Nachteile und wie wir seit 2021/22 wissen auch durch Ausschluss aus dem gesellschaftlichem Leben. "Erleichterungen" wie der digitale Ausweis, das eRezept, Elga und der Smartmeter sind geeignet demokratische Gewissheiten zu beseitigen. Die Verfestigung der Überwachung der eigenen vier Wände durch den Staat muss zwangsläufig in einem socialCreditSystem enden. In Europa nennt man das zur Zeit "Klima Konto".

„Wer in der Demokratie schläft, wird in einer Diktatur aufwachen“ und  „wehret den Anfängen“ sind vielbeschworene, sinnentleerte Kalendersprüche.

Die Mitläuferin ist die grösste Gefahr für die freie Welt und sich selbst.

(dieser Text ist nonbinär und genderfluid verfasst)

ThRe, Feber 2023

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