ThRe Tipp:

Über Nationalismus

George Orwell, dtv Verlag München, 2020
ISBN: 978-3-423-14737-8

Volksstimme 4/2014

 

Privatsphäre – ein Luxusgut?

 

NSA, Edward Snowden, ein vom Himmel geholter Präsident, Datenlecks bei diversen Banken und Kreditkartenanbietern, Fingerabdrücke im Reisepass … die Liste der bekannten und noch unerkannten Ein- und Übergriffe in demokratische Grundrechte ist lang.

 

Mit Recht wird das massenhafte Ausspionieren von Telefongesprächen und dem Internetzverkehr durch die NSA und befreundete Geheimdienste kritisiert. Gehandelt wird kaum bis gar nicht, stattdessen wird der Ruf nach Gegenspionage lauter.

 

Was wird ausspioniert?

 

Verbindungsdaten und das Internetzsurfverhalten der Menschen sind naturgemäß von großem Interesse für staatliche Überwachungsorgane; wesentlich aufregender sind allerdings „Kundendatenbanken“ aus denen nicht nur das Kaufverhalten und somit die Lebensumstände bzw. das Ändern eben dieser abgelesen und verwertet werden können. Unter Lebensumständen sind in dem Fall Adresse, Arbeitgeber, Bankdaten, Aufenthaltsorte, materielle Vorlieben, Gesundheitsdaten, Steuererklärungen, Kaufverhalten, persönliche Beziehungen, Familienstand, Kinderreichtum, politische Überzeugung, Engagement oder Sympathie für eine NGO oder Partei, diverse Versicherungen, Stromverbrauch … zu verstehen. Auch diese Liste ist eine lange.

 

Im Grunde kann man behaupten, dass Privatsphäre, wenn auch durch demokratische Grundrechte zugesichert, weder im Umgang mit dem Staat noch der Privatwirtschaft gelebte Praxis ist.

 

Wie kann man sich schützen?

 

Nichts leichter als das!

Bezahlen Sie Ihre Rechnungen per Erlagschein, nehmen sie keine „Kundenkarten“ in Anspruch, melden sie ELGA ab, nutzen sie den Schalter ihres Finanzamtes, verzichten sie auf Bankomat- und Kreditkarten.

Klingt einfach, ist es nicht. Den „Zeitverlust“ beim Barzahlen im Supermarkt oder am Bankschalter (1x monatlich für alle Zahlscheine) könnte man noch hinnehmen. Bei Ersterem sind mir trotz intensiver Recherche kein Daten untergekommen – obwohl gerade mit dem Thema „Zeitverlust“ für bargeldloses und berührungsloses Zahlen geworben wird. Und 20 Minuten Anstellen, um mir von einem vertrauenswürdigen Bankmenschen mein Bargeld mittels Erlagschein an die richtige Stelle überweisen zu lassen, erachte ich als sichersten und verantwortungsvollsten Umgang mit Zahlungsverpflichtungen.

 

Zeit ist Geld oder vielmehr Zeit kostet Geld.

 

„Wer am Schalter Geld vom Konto oder an der Kassa abhebt, muss mit Spesen von 0,24 (UniCredit Bank Austria) bis 2,01 Euro (Erste Bank) rechnen.“, lässt uns die Arbeiterkammer am 24. 9. 2013 auf ihrer Website wissen.

Und weiter „Sie (die Zahlscheinspesen, Anm.) machen drei (Hypo NÖ Landesbank) bis sieben Euro (Volksbank Wien) aus.“

 

Hebt man also 4 mal monatlich Bargeld am Schalter ab, zahlt man für die Wahrung seiner Privatsphäre im Schnitt 1,30 €uro pro Behebung, also 5,20 €uro im Monat.

Jeder Zahlschein schlägt sich mit 5 €uro Strafsteuer – weil man nicht bereit ist, der Bank „freiwillig“ sein Telefonverhalten, den Stromverbrauch, den Abschluss einer Lebens- oder anderen Versicherung oder die Heizkosten zur Datenverarbeitung zu überlassen – zu Buche. Monatliche Fixkosten sind Miete, Strom, Telefon, Internetz (versuchen Sie einmal, ein schulpflichtiges Kind ohne Internetz erfolgreich durch die Schulzeit zu bringen), diverse Versicherungen und Heizkosten, konservativ geschätzt sind also 5 Zahlscheinstrafgebühren fällig. Weiter 25 €uro, die für das Aufrechterhalten der Privatsphäre aufgewendet werden müssen.

Diese Zahlscheinstrafgebühren sind natürlich nicht nur an die Bank zu zahlen. Telefongesellschaften verlangen, trotz aufrechter Klage der Arbeiterkammer, unter verschleierndem Sprachmissbrauch Gebühren für Zahlscheine. Telering zum Beispiel bietet Bargeldzahlungen in deren Shops um 5 €uro pro Einzahlung an. Durchschnittlich werden bei Telefonrechnungen 2 €uro für extra „Arbeitsaufwand“ verrechnet.

Telefongesellschaften sind natürlich nicht die Einzigen, die durch missbräuchlichen Gebrauch der Sprache Strafgebühren für die Datensammelverweigerung einheben.

 

Gibst du mir, gebe ich dir?

 

Am offensichtlichsten ist das Prinzip „zieh dich aus oder zahle“ bei sogenannten „Kundenkarten“.

Bereits im Jahr 2010 waren lediglich 7% der privat Einkaufenden solche ohne Karte. Bis heute wird sich die „Marktdurchdringung“ der 100%-Grenze stark angenähert haben. Nimmt man die rasante Verbreitung von „KundenkartenApps“ als Messlatte, ist davon auszugehen, dass fast jeder Einkaufende mehr als eine „Kundenkarte“ sein eigen nennt.

Das Geschäftsmodell „Kundenkarte“ funktioniert, vereinfacht dargestellt, so:

Gib du mir deine Daten zu meiner freien Verwendung, dafür erlasse ich dir x% bei deinem nächsten Einkauf. Je mehr ausgegeben wird, desto mehr „Rabatt“ wird gewährt. Nebenbei gibt es auch Sonderaktionen für „Kundenkarten“-Kund_innen.

Da „Kundenkarten“ inzwischen flächendeckend zum Einsatz kommen. ist es unglaubwürdig anzunehmen, die gewährten Rabatte seien Rabatte. Vielmehr drängt sich der Schluss auf, dass „Kundenkarten“-Preise Normalpreise sind, und jene, die nicht willens sind, ihre ganz persönlichen Daten bekannt zu geben, mit höheren Preisen für ihr wirtschaftsfeindliches Handeln büßen müssen.

 

Laut Statistik Austria gibt ein durchschnittlicher österreichischer Haushalt monatlich circa 430 €uro für Lebensmittel, Körperpflege, Wohnutensilien und Heimwerken aus.

Die aufgezählten Produktgruppen stammen aus den Handelssparten mit den meisten „Kundenkarten“. Natürlich gibt es „Kundenkarten“ auch für Solarien, Sport oder Fitnessgeschäfte und viele andere Branchen.

Die von den „Kundenkarten“-Betreibern gewährten Rabatte divergieren und gestalten sich, wie erwähnt, progressiv. So gibt es bei BILLA ab einem monatlichen Einkauf von 200 €uro 15% Rabatt, ab 400 €uro sind es bereits 25% für einen Einkauf des nächsten Monats. Es gibt „Kundenkarten“-Modelle, die jährlich abgerechnet werden, die Rabatte gestalten sich aber erstaunlich ähnlich.

Es erscheint zulässig, bei den von der Statistik Austria angegebenen monatlichen Ausgaben von 430 €uro einen durchschnittlichen „Kundenkarten“-“Rabatt“ von 12,5% anzunehmen. Im Wissen, dass Österreich bei der PIAAC-Studie beim Alltagsrechnen signifikant besser abgeschnitten hat als der Durchschnitt, gehe ich davon aus, dass dieser reduzierte Einkauf zumindest ein Drittel der monatlichen Ausgaben abdeckt. Das macht in Summe ~ 20 €uro monatliche Mehrkosten für das vom Staat geschützte Recht auf Privatsphäre.

 

Demokratie muss uns was Wert sein!

 

Diese, nicht vollständige, Auflistung der Kosten zur Wahrung der eigenen Privatsphäre ist mit ~ 50 €uro monatlich zu veranschlagen. Ein durchschnittlicher österreichischer Haushalt bezahlt somit ~ 600 €uro jährlich, um seine demokratischen, von der Republik versicherten Menschenrechte zu schützen. Mediane Nettoeinkommen sind in Österreich mit rund 1600 €uro zu bewerten. Ein Alleinverdiener-Haushalt ist dementsprechend gezwungen, ein bisschen mehr als ein Drittel eines Monatseinkommens pro Jahr zur Aufrechterhaltung seiner Privatsphäre aufzuwenden.

Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die im Titel formulierte Frage eindeutig mit „Ja!“ zu beantworten ist.

Privatsphäre ist ein Luxusgut

 

ThRe, Feber 2014

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