ThRe Tipp:

Über Nationalismus

George Orwell, dtv Verlag München, 2020
ISBN: 978-3-423-14737-8

„Also da fahr ich sicher nicht mehr hin. Ich lass extra meine Eltern alleine und dann sind die so gemein zu mir. Ich mein, ich habe dem ja auch noch geholfen wie er da Probleme gehabt hat. Also, ich habe ihm einen Tipp gegeben, so war das. Und dann sind die so zu mir und reden auch noch schlecht über meinen Vater. Also ich mein. Na da fahr ich sicher nicht mehr hin. Ich mein, ich hätte eh noch bleiben können, aber nein. Da fahr ich lieber Heim zu meinen Eltern, die sind eh schon so alt und ich mein. Ja. Hygienischer ist es auch, weil ich mein entweder hat man eine Erziehung, ich mein ja nur. Aber da war so viel Dreck überall und Ja. Na ich geh jetzt dann Duschen und mein Vater ist eh schon am Weg mich dann abholen, vielleicht ist er auch schon da, ich kann ja nicht anrufen ich telefonier ja gerade mit dir und dann kennt er sich mit dem Handy auch nicht so aus, Ja. Ich mein, klar hätte ich noch bleiben können, aber wenn die so zu mir sind, dann nein. Es war eh sehr nett von mir, dass ich hingfahren bin, ich mein ja nur, aber so ein Dreck überall. Na wir haben halt eine andere Erziehung. Dort wollte ich mich gar nicht duschen, weil da wars so unhygienisch, das kannst mir glauben und ich habe denen ja geholfen auch damals. Na mein Vater holt mich dann ab vom Bahnhof und dann gehe ich duschen und dann können wir eh noch einmal telefonieren, weil Morgen muss ich dann eh arbeiten und vorher gehe ich noch Duschen. So in einer Stunde kannst mich wieder anrufen, ich kann dich ja nämlich nicht anrufen. Jetzt fahr ich dann mit meinem Vater heim. Ja weisst, da wollte ich nicht bleiben, nein. Ich mein, die wollten ja gerne, dass ich noch bleibe aber der Dreck. Nein. Gut ich muss jetzt aufhören, ich bin im Bahnhof. Ja der Vater ist schon da oder kommt, auf dem Weg ist der Vater sicherlich. Ja melde dich dann, ich muss nur Duschen und dann kann ich eh wieder telefonieren. Die Eltern sind dann schon im Bett, weil die sind ja schon so alt und die können nicht mehr so lange auf bleiben. Ein bisserl fernsehen vielleicht noch, aber dann müssen die ja ins Bett. Also gut dann.“

 

Noch 30 Minuten, dann würde er zurück kehren. Zurück ins Leben, in Gesellschaft, zu Menschen. Das Exil, die Isolation aufgeben. Der letzte Mitreisende hatte den Waggon verlassen, einmal noch unbeeindruckt sein. Es war dunkel, tief schwarze Nacht. Fernsicht auf sein Spiegelbild.

Lichter, Laternen. Straßen wurden sichtbar. Einblicke in wohlgeordnete Haushalte. Sein Gegenüber verblasste im Schein der Zivilisation. Aufgegangen. Gemein. Seine Gedanken flüchtig. Würde, bestehen können? Aussatz aussetzen. Er lächelte. Die letzten Stationen. Bald. Gleich. Endlich. „Nächster Halt Franz-Josef-Bahnhof, Endstation. Bitte verlassen Sie alle den Zug“

Menschen! Lärm! Staub und Gestank! Das Leben! Freier Blick auf Strassenbahnen, erleuchtete Auslagenscheiben, Autos und unzählige Menschen. Menschen. So viele! Niemand beäugte ihn, niemand kam auf die Idee zu Fragen was er denn eigentlich hier wolle, woher er komme, ob er überhaupt das Recht habe hier zu sein. Genussvoll schlenderte er zur U-Bahnstation, unbemerkt von allen gesehen. Gedränge am Bahnsteig. Mit dem Menschenstrom das öffentliche Verkehrsmittel entern. Unvorstellbar! Der erste Versuch, geglückt. Seltsame Zufriedenheit. Er musste, er konnte endlich wieder Menschen ausweichen. Augenkontakt, Interaktion, überwältigend.

 

Aus vorbei. Die Flucht, die Rückkehr misslungen. Kein Aufbäumen mehr. Akzeptanz. Sozialer Tod. Hygienischer Tod. Feindesland. Ein Narr war er zu glauben. Ein Narr war er zu hoffen. Ein Narr. Ein Narr, nicht mal verlacht. Auf wiedersehen Erde, ich kehre Heim.

 

ThRe, März 2015

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