ThRe Tipp:

Über Nationalismus

George Orwell, dtv Verlag München, 2020
ISBN: 978-3-423-14737-8

Hans schloss die Türe auf und setzte sich. Die Sonne war längst untergegangen, der Himmel war dunkel. Das wenige Restlicht reichte gerade aus um ihn Wolken vor dem Fenster erkennen zu lassen. Angestrengt probierte er mit abwechselnd zugekniffenen Augen ihm Bekanntes zu identifizieren. Der Erfolg war mäßig.
Wie konnte er nur in so eine Situation geraten. Warum er und weshalb ausgerechnet jetzt?

Leise drang Musik zu ihm vor. Hörte da tatsächlich jemand Bolero? Bolero? Nichts konnte unpassender sein. War nicht gerade eine ganze Welt zusammengebrochen? Zumindest die Welt die von Bedeutung war? Wer, warum, unsensibel. Hans konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. das Erlebte war noch zu nah, nicht angekommen, die Phase der Krisis nicht abgeschlossen und dann, Bolero. Begleitmusik hormongesteuerter Jugendlicher, oder von solchen die sich dafür hielten.
Hans war kurz davor die Fassung zu verlieren.

Folgetonhörner näherten sich. Ein Unfall, Feuer, eventuell sogar eine Schießerei. Das würde Hans ablenken, ihn aus seiner Schockstarre befreien. Angespannt lauschte er dem Näherkommen der Einsatzfahrzeuge. Sie konnten maximal zwei oder drei Gassen entfernt sein, sein Puls beschleunigte sich. Es wurde lauter. Aufregung  bemächtigte sich seiner. Endlich! Reifenquietschen, es musste unbedingt Reifenquietschen zu hören sein. Hans konnte keine Reifen quietschen hören. Der Fanfarengesang der Kavallerie verklang. Noch immer Bolero, unterlegt von Stöckelschuhgetrippel. Kleine Füße, dachte Hans. Es war noch nicht lange her da hatte er sich auf seine Beobachtungsgabe was eingebildet. Hans konnte sich gar nicht mehr erinnern wie es war, damals. Damals vor zehn Minuten, als die Welt noch die Welt war für die es sich lohnte zu – auch diesem Gedanken folgte er nicht.

Regen. Monotones Tropfen, das war es was Hans jetzt brauchte. Monotonie um eine klaren Kopf, einen klaren Gedanken zu finden. Kopflos war er gewesen, unbedacht. Nie hätte er sich in so eine Lage manövrieren dürfen. Jede Jungfrau geht besser vorbereitet an die Sache ran als er. Er, der sich sein Lebenlang eingebildet hatte er gehöre zu den Besten. Die Besten. Hans konzentrierte sich wieder auf den Regen. Und Bolero. Sein letzter Wunsch für den Moment: schneller Junge, schneller. Wäre es Otis Redding, James Brown oder, mit Ohrenkrebs zwar, Ray Charles gewesen. Hatte er etwas überhört, war er unaufmerksam gewesen. Hans konzentrierte sich auf die Geräusche von draussen. Die Strassenbahn. Das Piepsen aus dem Supermarkt. Das gleichmäßige Klopfen der Regentropfen.

Der Regen, wie lange regnete es schon? War es der Regen gewesen der die ganze Aktion in einem Desaster hat enden lassen? Wenn man wüsste woher der Typ mit den stahlblauen Augen plötzlich aufgetaucht ist. Und wer war seine Begleiterin? Welche Rolle übernahm sie bei diesem Spiel? Kleine Füße, Hans wurde unwohl. Mit aller Gewalt vermied er es sich von oben bis unten anzukotzen. Kleine Füße, das wäre ihm früher nicht passiert.

Hans schloss die Türe auf und setzte sich. Die Sonne war längst untergegangen, der Himmel war dunkel. Das wenige Restlicht reichte gerade aus um ihn Wolken vor dem Fenster erkennen zu lassen. Angestrengt probierte er mit abwechselnd zugekniffenen Augen ihm Bekanntes zu identifizieren. Der Erfolg war mäßig.
Wie konnte er nur in so eine Situation geraten. Warum er und weshalb ausgerechnet jetzt?

Eine Sprungfeder machte sich in seinem Rücken bemerkbar. Seine Fußsohlen brannten. War er gelaufen?  Gesprungen? Was auch immer passiert war, es war schlecht gelaufen für ihn. Die Sprungfeder im Rücken war sein kleinstes Problem. Hans lockerte die Schuhbänder. Ausziehen konnte er die Schuhe nicht, noch nicht. Lass dich nie ohne Schuhe überraschen, ein Merksatz aus der Zeit seiner Ausbildung. Eine lange, gute und gründliche Ausbildung. Das neueste Equipment, die bewährtesten Methoden, sie sollten vorbereitet sein auf die Welt da draussen. Er hätte vorbereitet sein müssen, es ist unentschuldbar. Jeder Frischling hätte die Gefahr gespürt. Die Sprungfeder stach selbst noch nach dem fünften Positionswechsel.
Hans war gereizt.

Der vollautomatisierte griff unter die Achsel, alles da. Ein wenig Sachlichkeit einkehren lassen. Wieviele Patronen hatte er verbraucht? Drei, auf keinen Fall mehr als drei Patronen. Hans gewann seine Sicherheit allmählich zurück. Sein Puls kam wieder auf Touren, die Hand war am Schaft. Er war gerüstet. Nicht mehr als drei. Hans versuchte sich die Katastrophe nochmals ins Gedächtnis zurufen. Der ganze Körper gespannt und zum Sprung bereit, genau so mochte es Hans. Den Überblick gewinnen und keine Sekunde die Kontrolle verlieren, so hatte er es gelernt und so hatte er all die Jahre überlebt. Nicht mehr als drei, Hans war sich ganz sicher. Es konnte ihm nichts passieren. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Schädel brummte. Die Sprungfeder machte sich bemerkbar und Hans legte seinen Kopf auf seine Knie. So zusammengekauert überkam ihn eine wohliges Gefühl. Woran erinnerte ihn das? War es eine ferne oder nahe Erfahrung? Sein  Verstand, bewundert und seit jeher seine schärfste Waffe, wurde überlagert von Panik. Tierischer Fluchttrieb übermannte ihn. Wohin und was dann?
Hans dachte nicht weiter darüber nach.

Strecken. Hans streckte sich nach allen Richtungen. Lockerungsübungen waren jetzt das Richtige um ihn wieder zu Sinnen kommen zu lassen. Lockerheit, die hatte im gefehlt. Verkrampft war er gewesen und kampfbereit. Trotzdem war er in die Falle getappt wie Custor, Marlowe und all die anderen, deren Fehler er sorgsam analysiert hatte und über die er herzhaft lachen musste wann immer er daran dachte. Solange er sich erinnern konnte lachte er über sie bis ihm der Bauch weh tat. Bauchweh, dämmerte es Hans. Es war nur ein Gefühl, intuitiv und nicht bestimmbar, trotzdem vollkommen klar. Hans tastete sich vorsichtig ab. War was ungewöhnlich? Fühlte sich sein Bauch schon immer so an? Er furzte, laut und ausgiebig.

Hans fuhr fort seine Glieder zu strecken. Da war sie wieder die Sprungfeder. Seine Füße schmerzten stärker als zuvor, er zog sich die Schuhe aus. Die Niederlage war eingesteckt und wie. Der Riese setzte ihn mit nur einem gezielten Schwinger ausser Gefecht. Hans war abgelenkt gewesen. Parfume und eine Berührung im falschen Moment. Bauchweh, kam es ihm wieder in den Sinn. Sein Magen verkrampfte und Hans rang nach Luft.
Ein Schwinger, den hatte er bisher noch niemandem gegönnt.

Hans schloss die Türe auf und setzte sich. Die Sonne war längst untergegangen, der Himmel war dunkel. Das wenige Restlicht reichte gerade aus um ihn Wolken vor dem Fenster erkennen zu lassen. Angestrengt probierte er mit abwechselnd zugekniffenen Augen ihm Bekanntes zu identifizieren. Der Erfolg war mäßig.
Wie konnte er nur in so eine Situation geraten. Warum er und weshalb ausgerechnet jetzt?

Auf dem Fenster gegenüber zeichneten sich die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos ab. Hüpfend und wippend vollführten sie ein Schauspiel, dem gerade durchlebten nicht unähnlich. War er geblendet worden?  Verführt wie die Motte vom Licht? Auf jedenfall hatte er zuviel Bourbon, vor zu langer Zeit, gekippt. Seine Augen waren lichtempfindlicher als die eines Uhu's. Die plötzlich auf und abtauchenden Lichtkegel liessen ihn tränen.
Hans biss sich auf die Lippe.

Mit Sonnenbrille konnte er nur noch Schatten und Umrisse erkennen, dafür saß er nicht mehr nach jedem Scheinwerferpaar im Stockdunklen. Angestrengt beobachtete er das Fenster. Routine und tausendmal erprobt, dabei konnte ihm niemand was vormachen. Routine, Abstand gewinnen um im richtigen Augenblick voll da zu sein.
Hans kannte sich besser als alles andere. Die Lichter spiegelten sich im immer wiederkehrenden Rhythmus. Hans erwartete Abweichungen, doch nichts geschah. Nur nicht einlullen lassen, immer auf der Hut. Ayay Sir! Bellte Hans in die Dunkelheit. So wie er es vor Jahren seinem Ausbildner zur Befehlsbestätigung an den Kopf geschleudert hatte. Das war lange her und Hans musste lächeln beim Gedanken an seinen Eifer und seine spätere Einsicht, dass Drill weder Moral noch Wert hat. Seine Werte waren die rechten und seine Moral unbestechlich, das wusste Hans, wenn es auch gerade nicht danach aussah. Hatte er sich verändert?
Im Augenwinkel glaubte er einen Schatten gesehen zu haben. Er war sich nicht sicher. Verdammte Scheisse.

Lichtkegel. Das Auge entlasten, neu Kraft sammeln um dann den Blick in die Dunkelheit aufs Neue annehmen. Autos fuhren im bekannten Muster und Hans blickte durch. Durchblick, den hatte er verloren. Benebelt war er herumgestolpert, wie ein Blinder. Nicht in der Lage vorherzusehen wie sich die Situation entwickeln würde. Hans dachte an seine Triumphe, an die Triumphe aller Sieger, der Gründerväter und der Cowboys die dem Sonnenuntergang entgegen reiten. Die Sonnenbrille war der Schlussakt, kein Zwischenspiel. Hans nahm die Brille ab und Tränen liefen ihm über die Backen.

Lichtkegel nach Lichtkegel zogen durch sein Blickfeld. Was hatte seinen Blickwinkel so eingeschränkt? Wodurch war sein Fokus verloren gegangen? Der Blonde alleine wäre keine Gefahr für ihn gewesen, soweit war sich Hans sicher. Aber wer war sie? Ein Prachtweib, soviel war für ihn klar. In Hans zog sich alles zusammen und er fror.
Geiler alter Bock, die Niederlage war total.

ThRe, August 2014

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